4-44-9. Felix Klein an H. Poincaré

Leipzig, 9. Juli 1881

Geehrter Herr !

In vorläufiger Beantwortung Ihres Briefes habe ich etwa Folgendes zu sagen :

1. Es ist mir ganz recht, daß Sie jene Stelle aus meinem Briefe zitiert haben. Bislang besitze ich nur erst Ihre Note vom 27. Juni.11endnote: 1 Poincaré (1881). Über die Benennung, die Sie dieser Funktionenklasse erteilt haben, war ich einigermaßen erstaunt; denn ich habe ja nichts weiter getan als die Existenz dieser Gruppen bemerkt.22endnote: 2 Before sending this letter to Poincaré, Klein showed it to Georges Brunel, who then cited this remark in his own letter to Poincaré of 14 July, 1881 (§ 4-15-3). Was mich angeht, so werde ich weder von „fuchsiennes“ noch von „kleinéennes“ Gebrauch machen, sondern bei meinen „Funktionen mit linearen Transformationen in sich“ bleiben.

2. Was ich über den Wert der Riemannschen Prinzipien sagte, war nicht scharf genug. Es ist kein Zweifel, daß das „Dirichletsche Prinzip“, als überhaupt nich konklusiv, verlassen werden muß. Man kann es aber vollständig durch strengere Beweisführung ersetzen. Sie finden das näher ausgeführt in einer Arbeit von Schwarz, die ich eben erst in diesen Tagen (zwecks meiner Vorlesung) genauer ansah, und in der Sie auch die Angaben über Konstantenbestimmungen finden, die in Borchardts Journal (von Arbeiten in Borchardts Journal müssen Sie jedenfalls Bd. 70, 74, 75 ansehen) nur angedeutet sind; dieselbe steht in den Berliner Monatsberichten 1870, pag. 767–795.

3. Der allgemeine Existenzbeweis, von dem ich das vorige Mal sprach, gilt natürlich auch für Gruppen, die aus irgendwelchen analytischen (nicht notwendig linearen) Substitutionen zusammengesetzt sind. Es ist merkwürdig, daß in diesem Sinne jede Operationsgruppe Funktionen definiert, die bei ihr ungeândert bleiben. Die „groupes discontinus“ haben nur das voraus, daß bei ihnen zugehörige eindeutige Funktionen existieren, was allerdings sehr wesentlich ist. Würde man die höheren Fälle durch eindeutige Funktionen von mehreren Veränderlichen beherrschen können, wie man es in dem besonderen bei Riemann in § 12 behandelten Falle vermöge des Jacobischen Umkehrproblems zu tun pflegt?

So viel für heute. Ich habe mittlerweile mit Herrn Brunel meine älteren Sachen, namentlich auch die Vorlesungshefte von 1877–78 und 78–79 (die ich damals habe ausarbeiten lassen) durchgegangen und wird Herr Brunel Ihnen demnächst darüber schreiben.33endnote: 3 Voir Brunel à Poincaré, 07.07.1881 (§ 4-15-2).

Hochachtungsvoll

Ihr ergebener

Prof. Dr. F. Klein

PTrL. Nörlund (1923, 111), Fricke et al. (1923, 601-602). See also the translations in English (§ 7-2-54) and French (§ 7-2-28).

Time-stamp: "28.04.2021 16:56"

Notes

  • 1 Poincaré (1881).
  • 2 Before sending this letter to Poincaré, Klein showed it to Georges Brunel, who then cited this remark in his own letter to Poincaré of 14 July, 1881 (§ 4-15-3).
  • 3 Voir Brunel à Poincaré, 07.07.1881 (§ 4-15-2).

Literatur

  • R. Fricke, H. Vermeil, and E. Bessel-Hagen (Eds.) (1923) Felix Klein Gesammelte mathematische Abhandlungen, Volume 3. Springer, Berlin. link1 Cited by: 4-44-9. Felix Klein an H. Poincaré.
  • N. E. Nörlund (1923) Correspondance d’Henri Poincaré et de Felix Klein. Acta mathematica 39, pp. 94–132. link1 Cited by: 4-44-9. Felix Klein an H. Poincaré.
  • H. Poincaré (1881) Sur les fonctions fuchsiennes. Comptes rendus hebdomadaires des séances de l’Académie des sciences de Paris 92, pp. 1484–1487. link1 Cited by: endnote 1.