3-33-9. Anders Lindstedt an H. Poincaré

Dorpat den 1 (13) April 1884

Sehr geehrter Herr Professor!

In ihrem letzten Brief fragen Sie, wie man beweisen kann, dass z.B. in der Gleichung

d2xdt2+n2x=λxcost+μx3sint\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+n^{2}x=\lambda x\cos t+\mu x^{3}\sin t (1)

bei der Anwendung meiner Integrationsmethode, die Glieder in sinw\sin w rechts durch dieselbe Procedur als die in cosw\cos w verschwinden. Es ist aber dies im Allgemeinen gar nicht der Fall.11endnote: 1 Voir Poincaré à Lindstedt, 08.04.1884 (§ 3-33-8). Die Sinusglieder in ww allein verschwinden nicht bei ähnlichen Gleichungen durch mein Verfahren. In der obigen Gleichung hat es der Zufall gewollt bis zur dritten Approximation inclusive. Und dies widerspricht nicht dem in meiner Abhandlung “Beitrag …” angegeb. Resultate, obgleich ich leider bei der Eile, womit die Schrift geschrieben werden musste, vergessen hatte, ausdrücklich darauf hinzuweisen.22endnote: 2 Lindstedt 1883.

Schreiben Sie z.B. anstatt (1)

d2xdt2+n2x=λxcos(t+a)+μx3sin(t+b)\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+n^{2}x=\lambda x\cos(t+a)+\mu x^{3}\sin(t+b)

die in (1) für a=0a=0, b=-90b=-90^{\circ} übergeht, so finden Sie in der dritten Approximation auf der rechten Seite folgendes Glied, das nicht durch eine Wahl von vv zum Verschwinden gebracht werden kann:

+3λμη034(4n2-1){cos(w+b-a)+cos(w-b+a)}+\frac{3\lambda\mu\eta_{0}^{3}}{4(4n^{2}-1)}\cdot\left\{\cos(w+b-a)+\cos(w-b+a% )\right\}

und also bei der Integration Glieder von der Form

b+sin(w±b-a¯)b+\sin(w\pm\overline{b-a})

Für den Fall (1) verschwindet jenes Glied von selbst unabhängig von vv, was also nur von der speciellen Natur der Gleichung herrührt. Ich glaube mir auch bemerkt zu haben, dass sinus in den weiteren Approximationen bei (1) nicht verschwindet.

Ich habe nähmlich überall in meiner Abhandlung, wie Sie bemerkt haben, nur das Cosinus-zeichen benutzt, und zwar wird dieser Umstand das, was ich vergessen hatte anzuführen, doch andeuten können. Ich verstehe nähmlich unter “Argument” nicht etwa – pag. 17 – λ1t\lambda_{1}t, λ2t\lambda_{2}t, …sondern λ1t+b1¯\underline{\lambda_{1}t+b_{1}}, λ2t+b2¯\underline{\lambda_{2}t+b_{2}}, …und man kann alsdann sagen, dass wenn es ganze Zahlen ii, i1i_{1}, i2i_{2}, …giebt, für welche

iW+i1(λ1t+b1)+i2(λ2t+b2)+iW+i_{1}(\lambda_{1}t+b_{1})+i_{2}(\lambda_{2}t+b_{2})+\cdots

sich auf eine nicht verschwindende Constante reducirt, dass alsdann meine Methode nicht anwendbar ist, weil in dem Integral auch nicht rein periodische Glieder auftreten.

Ich führe ein Paar Beispiele von linearen Diff-Gln an, die Sie leicht verifizieren können.33endnote: 3 Dans sa réponse, Poincaré considère que le cas des équations linéaires ne pose aucun problème. Tisserand (1892) s’intéressera au cas où des termes séculaires apparaissent dans l’équation qui était l’objet du début de la correspondance entre Poincaré et Lindstedt : d2xdt2+x(q2+2q1cos2t)=0.\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+x(q^{2}+2q_{1}\cos 2t)=0.

Das Integral von

d2xdt2+{acost+bsint}x=0\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+\{a\cos t+b\sin t\}x=0

besteht aus rein periodischen Gliedern, weil

acost+bsint=Acos(t+B)a\cos t+b\sin t=A\cos(t+B)

geschrieben werden kann, die Parenthese also nur ein Argument t+Bt+B enthält.

Dagegen hat das Integral von

d2xdt2+{acost+bsint+ccos2t}x=0\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+\{a\cos t+b\sin t+c\cos 2t\}x=0

auch sekulare Glieder, weil in der Parenthese zwei Argumente: t+Bt+B und tt sind, zwischen denen die Relation

t+B-t=Bt+B-t=B

wo BB nicht Null sein darf, besteht. u.s.w.

Ich muss gestehen, dass ich mit Spannung ihre versprochene Note in den C.R. abwarte. Jedes Beispiel ist ja in dieser Sache von der grössten Wichtigkeit. Ich muss noch einmal bekennen, dass mir ihre Ansicht über die Convergenzfrage meiner Reihen für das Dreikörperproblem nicht ganz befriedigte. Dass indessen die Stabilität nicht durch meine Methode und Reihen bewiesen wird, gebe ich ohne weiteres zu, und habe auch nicht einen solchen Anspruch erhoben.

Die ungeheuren Schwierigkeiten indessen, die sich bei der Benutzung der von mir angegeb. Form der Integrale, bei der Convergenzfrage auftreten, scheinen mir zu beweisen, dass die trigonometrischen Reihen hier nicht naturgemäss sind. Ich habe desshalb, was ich Ihnen desshalb zu erzählen wage, weil ich einige Aussicht auf einen Ausweg habe, diese Methode aufgegeben und suche mir die Lösung unter einer ganz anderen Form. Sobald ich etwas positives gewonnen habe, werde ich Ihnen eine Mitteilung davon machen. Die grösste Schwierigkeit ist, sich von früheren Vorstellungen ganz unabhängig zu halten. — Können Sie mir vielleicht sagen, ob früher [3 Worte unlesbar] Diff. Gln von der Form d2xidt2=\frac{d^{2}x_{i}}{dt^{2}}= Ration. ganz. Functionen von den xix_{i} integrirt worden sind, ausgenommen den bekannten, wo elliptische Fn auftreten?

Ihr ganz ergebener

And. Lindstedt

ALSX 4p. Collection particulière, Paris 75017.

Time-stamp: "4.05.2019 00:12"

Notes

  • 1 Voir Poincaré à Lindstedt, 08.04.1884 (§ 3-33-8).
  • 2 Lindstedt 1883.
  • 3 Dans sa réponse, Poincaré considère que le cas des équations linéaires ne pose aucun problème. Tisserand (1892) s’intéressera au cas où des termes séculaires apparaissent dans l’équation qui était l’objet du début de la correspondance entre Poincaré et Lindstedt : d2xdt2+x(q2+2q1cos2t)=0.\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+x(q^{2}+2q_{1}\cos 2t)=0.

Literatur

  • A. Lindstedt (1883) Beitrag zur Integration der Differentialgleichungen der Störungstheorie. Mémoires de l’Académie impériale des sciences de St-Pétersbourg 31 (4), pp. 1–20. Cited by: endnote 2.
  • F. Tisserand (1892) Recherches concernant l’équation différentielle d2xdt2+x(q2+2q1cos2t)=0\frac{d^{2}x}{dt^{2}}+x(q^{2}+2q_{1}\cos 2t)=0. Bulletin astronomique 9 (3), pp. 102–112. link1 Cited by: endnote 3.